Autor: Silvan Maaß
Im Wörterbuch:
Semantik
Den Begriff "Semantik" haben die meisten von euch sicherlich schon mal gehört. Doch was bedeutet er eigentlich und welche Rolle spielt er in der Linguistik? Das erfahrt ihr hier.
1. Definition: Was versteht man unter Semantik?
Der Begriff "Semantik" leitet sich vom altgriechischen Wort "Semainein" ab, was "bezeichnen" beziehungsweise "ein Zeichen geben" bedeutet. Folglich wird die Semantik auch als Lehre von den Zeichen verstanden.
Die Begründung der Lehre geht auf den französischen Philologen Michel Jules Alfred Bréal (1832 - 1915) zurück. Dieser regte Ende des 19. Jahrhunderts an, eine Wissenschaft der Bedeutungen einzuführen.
Als Zeichen können hierbei beliebige Symbole sowie Sätze, Satzteile, Wörter oder Wortteile verstanden werden. Je nachdem ob sich die Semantik mit sprachlichen oder anderen Zeichen beschäftigt ist sie Teilbereich der Linguistik oder der Semiotik.
Generell gibt es spezifische Ansätze, um die Semantik genauer zu definieren, deren Ergebnisse in unterschiedlichen Disziplinen von Bedeutung sind oder eine Veränderung der Sprachwahrnehmung zum Ziel haben.
- So untersucht die linguistische Semantik die Bedeutung der Zeichen auf der Ebene der Wörter (Wortsemantik), der Sätze (Satzsemantik) oder ganzer Texte (Textsemantik und Kontextsemantik) mittels unterschiedlicher Theorien.
- In der allgemeinen Semantik geht es um das Verhältnis der Sprache zur Wahrnehmung der Wirklichkeit. Menschen sollen sich die Mechanismen vergegenwärtigen, mit denen Sprachstrukturen die Wirklichkeit abbilden. Dabei sollen sie lernen, auf das zu reagieren, worauf sich die Sprache bezieht, nämlich auf die Wirklichkeit, die sich nicht in Worten ausdrückt. Ziel dessen ist, die Bildung von Vorurteilen und menschlichen Konflikten zu vermeiden.
- Der philosophische Ansatz, auch als reiner Ansatz der Semantik bezeichnet, beschäftigt sich mit der Beziehung zwischen der Bedeutungstheorie und der Erkenntnistheorie. Die Bedeutungstheorie geht der Frage nach, was eine Bedeutung ist und was ihre kleinsten, nicht weiter teilbaren Bestandteile sind. In der Erkenntnistheorie sind die Voraussetzungen für eine Erkenntnis und die Entwicklung von Wissen und Überzeugungen Gegenstand der Betrachtung.
2. Abgrenzung unterschiedlicher Teilbereiche der Semantik
In der Semantik grenzt man verschiedene Teilbereiche voneinander ab. Sie untersuchen jeweils auf eine bestimmte Weise die Zeichen und Bedeutungen, die der Wahrnehmung und Verständigung dienen.
2.1 Semiotik (Semantik von Zeichensystemen)
Die Semiotik, auch Zeichentheorie genannt, befasst sich mit Zeichensystemen aller Art, die in menschlichen Kulturen und in der Natur vorkommen. Gegenstand der Untersuchung sind unter anderem Schriftzeichen, Bilderschriften, Gesten, bildliche oder symbolhafte Darstellungen, Gerüche und der sprachliche Ausdruck. Die Semiotik fragt danach, was als Zeichen dienen kann, nach welchen Strukturen Zeichensysteme aufgebaut sind und wie die Zeichen verwendet werden.
Dabei ist die Betrachtungsweise breit gefächert. Die Semiotik beschäftigt sich nicht nur mit der Kommunikation unter Menschen, sondern auch mit der Interaktion zwischen Tieren und Pflanzen, Signalübertragungen innerhalb von Organismen und der Informationsverarbeitung in Maschinen. Mit ihren Fragestellungen nach kulturellen und natürlichen Prozessen der Zeichenübermittlung und Verständigung bietet die Semiotik auch eine Basis für die Analyse interkultureller Kommunikation.
Innerhalb der Semiotik ist die Pragmatik und die Syntax zu unterscheiden.
- Die Pragmatik untersucht das Verhältnis der Sprache zum Sprecher und zum Angesprochenen. Hier sind beispielsweise die Höflichkeitsformen (Du / Sie) zu nennen.
- Als Syntax werden Regeln verstanden, nach denen Texte strukturiert werden. Das gesamte Regelsystem wird als Grammatik bezeichnet.
2.2 Semasiologie (Lehre von Wortbedeutungen) & Onomasiologie (Bezeichnungslehre)
Als Lehre der Wortbedeutungen fragt die Semasiologie nach dem Sinn und Inhalt einzelner Wörter beziehungsweise nach den Gemeinsamkeiten oder Unterschieden von Begriffen, die als Synonyme gelten respektive dem gleichen Themenkomplex angehören. Da Wörter je nach Kontext unterschiedliche Bedeutungen annehmen können, betrachtet die Semasiologie auch den Zusammenhang zwischen Wort und Text.
Als Bezeichnungslehre fragt die Onomasiologie danach, welche sprachlichen Ausdrücke einzelnen Gegenständen zugeordnet sind. Anders als die Semasiologie ergründet sie nicht die Bedeutung von Begriffen. Vielmehr stellt die onomasiologische Betrachtungsweise die Sache in den Mittelpunkt und erfragt ihre Bezeichnung. Von Interesse ist dabei unter anderem wie sich zu verschiedenen Zeiten an bestimmten Orten die Bezeichnungen unterscheiden. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von der "Bedeutungsveränderung" bzw. vom "Bedeutungswandel".
2.3 Linguistik und linguistische Semantik
Die Linguistik beschäftigt sich in Form einer Sprachwissenschaft mit der Sprache als System. Sie betrachtet die einzelnen Bestandteile einer Sprache und erforscht ihre Bedeutung. Daneben sind die Herkunft und Entwicklung der Sprache, der Sprachgebrauch in Wort und Schrift sowie das Erlernen der Sprache Themengebiete der Linguistik.
3. Teilbereiche der Linguistik (Sprachwissenschaft)
3.1 Deskriptive Linguistik
Die deskriptive (beschreibende) Linguistik betrachtet die Grammatik und die Pragmatik der deutschen Sprache. Dabei umfasst die Grammatik Fragen nach der Funktion der Laute, die Schrift, den Satzbau, die Wortstruktur, den Wortschatz und die Bedeutung. In der Pragmatik geht es um den Aufbau von Gesprächen und Nuancen der Gespräche, die bestimmte Bedeutungen implizieren.
3.2 Theoretische Linguistik
Der theoretische linguistische Ansatz erfüllt für spezifische Fachrichtungen erklärende Funktionen. So nutzen beispielsweise Psychologen ihre Erkenntnisse, um zu erfahren wie Menschen die Zuordnung von Bedeutungen erlernen oder wie sich der Prozess des Verstehens vollzieht.
3.2.1 Linguistische Semantik
Eine Teildisziplin der Sprachwissenschaft ist die linguistische Semantik, die die Bedeutung der Zeichen untersucht. Zeichen sind dabei alle Bestandteile einer Sprache, denen eine Bedeutung zugeordnet werden kann.
3.2.1.1 Betrachtungsebenen
3.2.1.1.1 Wortsemantik (lexikalische Semantik)
In der lexikalischen Semantik stehen Wörter und deren Bedeutung im Blickpunkt. Zur Beschreibung der Wortbedeutung gibt es unterschiedliche Verfahren.
Neben der traditionellen Bedeutungsbeschreibung einzelner Wörter kommt die Betrachtung von Wortfeldern zur Anwendung. Dabei betrachtet man Wörter mit ähnlicher Bedeutung, die in einem Satz untereinander ausgetauscht werden können, ohne dass sich sein Sinn merklich ändert. Bei der Komponentenanalyse werden Wörter in Bedeutungsbestandteile zerlegt. Ein Begriff bekommt dazu bestimmte Merkmale zugeordnet, die er erfüllt. So ist beispielsweise ein Busch natürlich und nicht künstlich, klein, nicht groß und ortsfest, nicht beweglich. Die Semanalyse lenkt die Aufmerksamkeit auf kleinste Bedeutungsbestandteile. Einem Wort werden bestimmte semantische Merkmale zugeordnet, die es genau charakterisieren.
Beispiel: Ein Vater ist ein Mensch, erwachsen, männlich und hat ein Kind. Einzelne dieser semantischen Merkmale können auch auf die Bedeutung anderer Wörter zutreffen, Vater ist jedoch nur, wer die Gesamtheit all dieser Merkmale in sich vereint.
3.2.1.1.2 Satzsemantik
In der Satzsemantik geht es darum, größere Einheiten der Wortverbindungen wie Satzglieder, Teilsätze oder ganze Sätze zu analysieren.
Die Valenztheorie dient dem Erkennen und Erklären der Struktur einer Sprache. Mit Valenz ist die Fähigkeit eines Wortes gemeint, sprachliche Verbindungen mit anderen Ausdrücken einzugehen beziehungsweise die Erfordernis solcher Relationen. So kann beispielsweise ein Verb niemals alleine stehen, sondern es benötigt im Satz zumindest ein Subjekt.
Beispiel: "Er schreibt." oder "Sie telefoniert."
Mit einem Prädikat kann das Verb noch näher bestimmt werden
Beispiel: "Er schreibt einen Brief." oder "Sie telefoniert mit ihrer Mutter."
Mit Hilfe der Valenztheorie kann man Gesetzmäßigkeiten herausarbeiten, nach denen in bestimmten Sprachen Wörter gruppiert oder zu Sätzen verbunden werden.
Die Satzsemantik betrachtet darüber hinaus die Beziehungen eines Ausdrucks zu dem Gegenstand, den er bezeichnet. In der Sprache bietet sich eine Vielzahl von Möglichkeiten, auf etwas Bezug zu nehmen. Dazu gehören auch nonverbale Äußerungen wie etwa ein Kopfnicken oder ein Fingerzeig.
3.2.1.1.3 Textsemantik
Bei der Textsemantik geht es in erster Linie um Kohärenz, also dem Zusammenhang aufeinanderfolgender Sätze. Im Einzelnen werden hierbei die Gesamtbedeutung eines Textes, deren semantische Strukturen sowie deren semantische Relationen untersucht.
Beispiel: ein Absatz in einem Buch.
3.2.1.1.4 Kontextsemantik
Als Kontext versteht man in der Sprachwissenschaft den umgebenden Text einer sprachlichen Einheit (z. B. Wörter, Wortfolgen, Sätze, Satzfolgen) bzw. den inhaltlichen Gedanken- und Sinnzusammenhang, in welchem eine Äußerung steht.
Definiert man Kontextsemantik nun als "wissensanalytische Semantik", wie sie auch bezeichnet wird, wird leichter klar, worum es hierbei geht: um das Verstehen eines Gesamtkontextes aufgrund zuvor angeeignetem und abrufbarem Wissen des Lesers. Als Grundlage hierfür dient die sogenannte Frame-Semantik.
Beispiel: ein gesamtes Kapitel oder Buch.
Sprachwissenschaftlich betrachtet sind Diskurse Textkorpora, deren Texte sich inhaltlich mit einem zu erforschendem Thema oder Wissenskomplex befassen und untereinander semantische Beziehungen aufweisen. Die Betrachtung findet demnach auf Grundlage von Texten verschiedener Personen und Quellen statt, die untereinander in Beziehung stehen.
Beispiel: mehrere Bücher zu einem Thema / Wissenskomplex
3.2.1.2 Semantische Relationen
Eine große Rolle in der linguistischen Semantik spielen die semantischen Relationen (Bedeutungsrelationen), die zwischen den Bedeutungen von Wörtern und Sätzen existieren, denn Sprache ist nicht das "stumpfsinnige" Aneinanderreihen von Wörtern, sondern die Kenntnis der Beziehungen zwischen ihnen. Die Analyse dieser Relationen macht die Erfassung der Gesamtstruktur des Wortschatzes erst möglich. Hierbei werden syntagmatische und paradigmatische Beziehungen unterschieden.
- Die syntagmatischen Beziehungen gehen von einer chronologischen Abfolge beim Sprechen und von einer linearen Abfolge beim Schreiben bzw. Lesen (von links nach rechts) aus. Im Kern geht es um das Herausfinden von Rollen und Funktionen einzelner Elemente zu den vorangehenden sowie nachfolgenden.
- Unter paradigmatischen Beziehungen versteht man Relationen zwischen Ausdrücken, die in einem Kontext austauschbar sind. Hierzu gehören etwa Antonymie, Hyponymie und Synonymie.
Über den Autor
Silvan Maaß ist Diplom-Kommunikationswirt (dab) sowie Mitbegründer der Sprachnudel, wodurch er sich seit 20 Jahren beinahe täglich mit theoretischer und angewandter Linguistik beschäftigt. Die Lebendigkeit der Sprache hat es ihm besonders angetan. Daher interessiert er sich insbesondere für Okkasionalismen und Neologismen - zwei kreative Themenfelder der Linguistikforschung, die in unserer Gesellschaft relevanter denn je sind.