Autor: Silvan Maaß
Im Wörterbuch:
Morphologie, Formenlehre
Die Sprachwissenschaft setzt sich mit verschiedenen sprachlichen Ebenen auseinander. Eine davon ist die Morphologie, die Formenlehre der Sprache.
1. Definition: Morphologie
Die Morphologie (altgriechisch: morphe = Gestalt, logos = Lehre) ist die Wissenschaft von der Veränderung der Wortformen. Sie wird auch als Formenlehre bzw. "Morphematik" oder "Morphemik" bezeichnet. Hierbei steht das Wort als größte und das Morphem als kleinste Einheit im Vordergrund.
2. Womit befasst sich die Morphologie?
Die Morphologie befasst sich mit:
2.1 Wortarten
Über die Anzahl der Wortarten gibt es keinen genauen Konsens in der deutschen Grammatik. Einigkeit gibt es nur bei den drei Hauptwortarten Adjektiv, Substantiv und Verb. Die klassische Zehn-Wortarten-Lehre geht von folgenden 10 Wortarten aus:
- Substantiv (Nomen, Namenswort)
- Deklination - Substantive werden gebeugt, um die Beziehungen der Bestandteile eines Satzes zueinander deutlich zu machen.
- Verb (Zeitwort, Tätigkeitswort)
- Numerus und Person - Einzahl / Mehrzahl und die grammatikalische Person
- Zeitformen - Die deutsche Grammatik kennt sechs Zeitformen (Tempora), die in die Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft unterteilt sind. Im Einzelnen sind dies:
- Genus Verbi (Aktiv und Passiv) - Gibt Aufschluss, ob eine Handlung aktiv oder passiv ausgeführt wird.
- Modus (Indikativ, Konjunktiv und Impertiv) - Hiermit lässt sich die Aussageabsicht eines Satzes konkretisieren. Ob es sich um die Realität, eine Möglichkeit oder um eine Aufforderung handelt.
- Adjektiv (Eigenschaftswort, Wiewort)
- Deklination - Sobald ein Adjektiv vor einem Nomen steht, muss es dekliniert werden. Bei der sogenannten Adjektivdeklination werden die Endungen der Adjektive dem Kasus (Fall), dem Genus (grammatikalisches Geschlecht) und dem Numerus (Einzahl / Mehrzahl) des Nomens angepasst.
- Komparation - Durch Komparation (von lat. comparare "vergleichen") lassen sich Situationen, Personen oder Sachen miteinander vergleichen. Dies geschieht mittels Steigerung der Adjektive. Die Grammatik kennt mehrere Steiegrungsformen. Dazu zählen der Positiv (Grundform), der Komparativ (erste Steigerung) und das Superlativ (höchste Steigerungsstufe). Die gesprochene Sprache kennt noch eine weitere Steigerungsform, den Hyperlativ.
- Adverb (Umstandswort), wie bspw.: abends, überall, deshalb, kaum
- Artikel (Begleiter vom Nomen), Singular: der, die, das; ein, eine / Plural: die
- Pronomen (Fürwörter, Stellvertreter vom Nomen), wie bspw.: ich, du, mein, dein, sich, dieser, jener, jemand, niemand
- Präposition (Verhältniswort), wie bspw.: auf, bei, durch
- Konjunktion (Bindewort), wie bspw.: aber, außer, desto (nebenordnend) / als, anstatt, bevor (unterordnend)
- Interjektion (Empfindungswort), wie bspw.: aha, nanu, pfui, ey
- Numerale (Zahlwort), wie bspw.: zwei, hundertdreißig, einige
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Wortarten!
2.2 Wortbildung
Wie der Name "Wortbildung" bereits vermuten lässt, geht es hierbei um die Bildung von Wörtern. Diese beruht auf diversen Regeln und Mustern, die wir im Folgenden aufzeigen möchten.
Die Wortbildung ist neben der Entlehnung eine der am häufigsten genutzten Möglichkeit zur Wortschatzerweiterung im Deutschen. Darüber hinaus werden hierfür auch die Bedeutungsveränderung sowie die Urschöpfung (Kunstwortbildung) genutzt.
2.2.1 Grundbegriffe der Wortbildung
Bevor wir nun die einzelnen Möglichkeiten der Wortbildung beleuchten, gilt es, einige Grundbegriffe zu erklären. Dazu zählen:
2.2.1.1 Morphem
Wird das Wort im Rahmen der Wortbildung als größte Einheit verstanden, gilt das Morphem als kleinste Einheit der Sprache. Hierbei wird zwischen freien Morphemen (das sind selbständige Wörter, die alleine stehen können, Beispiel: Bett) und gebundenen Morphemen (treten nur innerhalb von Wörtern auf und können nicht alleine stehen, Beispiel: Bett-en (Wortstamm + Pluralendung)) unterschieden. Darüber hinaus werden Morpheme wie folgt eingeteilt:
2.2.1.1.1 Lexikalisches Morphem
Lexikalische Morpheme (auch "Basismorpheme" genannt) tragen eine Bedeutung und sind ausschlaggebend für die inhaltliche Bestimmung bzw. für die Zuordnung zu einer Wortfamilie (Beispiel: Bett-en).
2.2.1.1.2 Grammatisches Morphem
Grammatische Morpheme geben die grammatischen Kategorien an. Dabei kann es sich u.a. um den Genus, Numerus oder Tempus handeln. Es können also bspw. Konjugationsendungen, Deklinationsendungen oder Singular- und
Pluralendungen sein (Beispiel: Bett-en).
2.2.1.1.3 Wortbildungsmorphem
Das Wortbildungsmorphem - auch Affix (abgeleitet vom Lateinischen "affigere" für: anheften) oder Wortbildungselement genannt - ist ein gebundenes Morphem. Wortbildungsmorpheme erweitern einen vorhandenen Wortstamm zu einem neuen Wort. Sie kommen meist als Präfix oder Suffix vor. Folgende Varianten gibt es:
2.2.1.1.3.1 Präfix
Das Präfix (Vorsilbe) ist eine Worterweiterung. Dazu zählen etwa aus-, be-, ent-, er-, ge-, ver- und zer-. Präfixe werden dem Wortstamm vorangestellt und sorgen somit für eine neue Bedeutung (Beispiel: um-gehen).
2.2.1.1.3.2 Suffix
Das Suffix (Nachsilbe) ist das Gegenstück zum Präfix. Hierzu zählen u.a. -heit, -ig, -keit, -nis, -schaft und -ung. Es steht am Ende eines Wortes, weil es seinem Wortstamm nachfolgt (Beispiel: Frei-heit).
2.2.1.1.3.3 Zirkumfix
Das Zirkumfix (abgeleitet vom Lateinischen "circumfigere" für: ringsum umwickeln) umgibt den Kern einer Morphemkombination auf beiden Seiten (Beispiel: ge-läuf-ig).
2.2.1.1.3.4 Infix
Das Infix (abgeleitet vom Lateinischen "infīxum" für: fest eingebaut) wird nirgends angehangen sondern innerhalb eines komplexen Wortes eingebaut (Beispiel: fahr-untüchtig).
Das Infix kommt im Deutschen aber nur selten vor und ist Sprachwissenschaftlich umstritten. Denn das Beispiel ließe sich ebenso als Zusammensetzung aus zwei Einheiten analysieren, bei der die zweite präfigiert ist (Präfix vor dem Wortstamm - 1. Einheit: fahr, 2. Einheit: un-tüchtig).
2.2.1.1.4 Fugenmorphem
Das Fugenmorphem - auch Fugenelement oder Fugenlaut genannt - ist eine eingeschobene Einheit aus einem oder mehreren Lauten. Es wird meist bei der Komposition eingefügt und eher selten bei der Derivation (Beispiel: Weihnacht-s-mann).
2.2.1.2 Phonem
Das Phonem ist der kleinste lautliche Bestandteil eines Wortes. Für sich genommen trägt es keine Bedeutung. Es hat aber eine bedeutungsunterscheidende Funktion, wenn man es in einem Wort ersetzt (Beispiel: Haus vs. Maus). Bei diesem Beispiel handelt es sich um ein sogenanntes "Minimalpaar", da sich die beiden Wörter nur in einem einzigen Phonem unterscheiden.
2.2.1.3 Lexem
In der Regel wird der Begriff "Lexem" synonym verwendet mit dem Begriff "Wort". Genauer gesagt ist es ein selbstständiges Wort und steht als solches im Lexikon. Ein Lexem liegt einer Gruppe von Wörtern zugrunde, die durch Flexion miteinander verbunden sind. Man kann ein Lexem daher als eine Art Stammwort betrachten, das unterschiedliche Formen hat. Zum Beispiel sind "gehe", "ging" und "gegangen" Formen desselben Lexems, nämlich "gehen". Bei allen drei bleibt die Wortbedeutung stets die gleiche. Ein Lexem hat demnach einen bestimmten Bedeutungswert. Die Verwendung der Formen eines Lexems wird durch Grammatikregeln geregelt.
2.2.1.4 Wortstamm
Der Wortstamm (kurz auch "Stamm" genannt) ist der unveränderliche Teil eines Wortes. Er dient als Basis für neue Wortbildungen, indem man Endungen, Silben und Zeitformen an ihn anhängt. Der Wortstamm selbst kann dabei entweder nicht zerlegbar (Primärstamm oder Wurzel) oder zusammengesetzt (Sekundärstamm) sein (Beispiel: Ballett, Erdball, ballern, Ballast; der gemeinsame Primärstamm ist ball).
2.2.1.5 Einheit
Im Rahmen der Wortbildung wird eine Einheit als Wort (größte Einheit), Wortstamm oder gebundenes Morphem (kleinste Einheit) verstanden.
2.2.1.6 Wortfamilie
Eine Wortfamilie ist eine Gruppe von Wörtern mit gleichem Primärstamm (Beispiel: Tierkreis, Raubtier, Säugetier; der gemeinsame Primärstamm ist tier).
2.2.2 Wortbildungsarten
Es gibt verschiedene Wortbildungsarten, die für die Entstehung neuer Wörter verantwortlich sind. Im Einzelnen sind dies:
2.2.2.1 Komposition
Komposition (abgeleitet vom Lateinischen "compositio" für: Zusammenstellung) wird auch als Wortzusammensetzung bezeichnet. Hierbei werden mindestens zwei Einheiten zu einem Kompositum verknüpft.
Beispiele:
Zimmer + Pflanze = Zimmerpflanze
Pfeffer + Kuchen + Haus = Pfefferkuchenhaus
Darüber hinaus unterscheidet man noch folgende Untertypen der Komposition:
2.2.2.2 Derivation
Derivation (abgeleitet vom Lateinischen "derivare" für: leiten, ableiten, wegleiten) wird auch als Ableitung bezeichnet. Folgende Verfahren werden unterschieden:
- Explizite Derivation: Hierbei wird die Wortbildung durch Ableitung eines freien lexikalischen
Morphems durch Verknüpfung mit Affixen vollzogen (Beispiel für Präfix: aus-suchen).
- Implizite Derivation: Hierbei findet die Ableitung mit einem Ablaut statt (Beispiel: liegen > l
iegen).
- Konversion: Der Begriff ist abgeleitet vom Lateinischen "conversio" für "Wandlung" und wird auch als Nullableitung oder Nullderivation bezeichnet. Hierbei werden durch Wortartwechsel Derivate gebildet (Beispiel: tanzen (Verb) > das Tanzen (Substantiv)).
2.2.2.3 Kürzung
Durch Kürzung bzw. Kurzwortbildung werden Langformen zu Kurzformen mit im Wesentlichen identischen Bedeutungen.
2.3 Flexion
Mit Flexion (abgeleitet vom Lateinischen "flexio" für: Biegung) meint man in der Morphologie die Beugung eines Wortes rsp. deren unterschiedliche Wortformen, die daraus resultieren. Die Wortformen selbst sind abhängig von der jeweiligen Wortart. Diese wiederum wird unterschieden nach flektierbar und nicht flektierbar. Zu den flektierbaren Wortarten gehören die Adjektive, Verben, Substantive, Pronomen, Artikel und Numerale. Nicht flektierbare Wortarten (auch Partikel genannt) sind Adverbien, Interjektionen, Konjunktionen und Präpositionen.
Bei den drei Hauptwortarten unterscheiden sich...
Die Flexion von Adjektiven, Substantiven, Pronomen, Artikeln und Numeralien bezeichnet man als Deklination. Beim Vorgang selbst spricht man vom "Deklinieren". Die Flexion von Verben hingegen heißt Konjugation. Der Vorgang "konjugieren".
Über den Autor
Silvan Maaß ist Diplom-Kommunikationswirt (dab) sowie Mitbegründer der Sprachnudel, wodurch er sich seit 20 Jahren beinahe täglich mit theoretischer und angewandter Linguistik beschäftigt. Die Lebendigkeit der Sprache hat es ihm besonders angetan. Daher interessiert er sich insbesondere für Okkasionalismen und Neologismen - zwei kreative Themenfelder der Linguistikforschung, die in unserer Gesellschaft relevanter denn je sind.