Morphologie (Formenlehre)

Die Sprachwissenschaft setzt sich mit verschiedenen sprachlichen Ebenen auseinander. Eine davon ist die Morphologie, die Formenlehre der Sprache.

1. Definition: Morphologie

Die Morphologie (altgriechisch: morphe = Gestalt, logos = Lehre) ist die Wissenschaft von der Veränderung der Wortformen. Sie wird auch als Formenlehre bzw. "Morphematik" oder "Morphemik" bezeichnet. Hierbei steht das Wort als größte und das Morphem als kleinste Einheit im Vordergrund.

2. Womit befasst sich die Morphologie?

Die Morphologie befasst sich mit:

2.1 Wortarten

Über die Anzahl der Wortarten gibt es keinen genauen Konsens in der deutschen Grammatik. Einigkeit gibt es nur bei den drei Hauptwortarten Adjektiv, Substantiv und Verb. Die klassische Zehn-Wortarten-Lehre geht von folgenden 10 Wortarten aus:

  1. Substantiv (Nomen, Namenswort)
  2. Verb (Zeitwort, Tätigkeitswort)
  3. Adjektiv (Eigenschaftswort, Wiewort)
    • Deklination - Sobald ein Adjektiv vor einem Nomen steht, muss es dekliniert werden. Bei der sogenannten Adjektivdeklination werden die Endungen der Adjektive dem Kasus (Fall), dem Genus (grammatikalisches Geschlecht) und dem Numerus (Einzahl / Mehrzahl) des Nomens angepasst.
    • Komparation - Durch Komparation (von lat. comparare "vergleichen") lassen sich Situationen, Personen oder Sachen miteinander vergleichen. Dies geschieht mittels Steigerung der Adjektive. Die Grammatik kennt mehrere Steiegrungsformen. Dazu zählen der Positiv (Grundform), der Komparativ (erste Steigerung) und das Superlativ (höchste Steigerungsstufe). Die gesprochene Sprache kennt noch eine weitere Steigerungsform, den Hyperlativ.
  4. Adverb (Umstandswort), wie bspw.: abends, überall, deshalb, kaum
  5. Artikel (Begleiter vom Nomen), Singular: der, die, das; ein, eine / Plural: die
  6. Pronomen (Fürwörter, Stellvertreter vom Nomen), wie bspw.: ich, du, mein, dein, sich, dieser, jener, jemand, niemand
  7. Präposition (Verhältniswort), wie bspw.: auf, bei, durch
  8. Konjunktion (Bindewort), wie bspw.: aber, außer, desto (nebenordnend) / als, anstatt, bevor (unterordnend)
  9. Interjektion (Empfindungswort), wie bspw.: aha, nanu, pfui, ey
  10. Numerale (Zahlwort), wie bspw.: zwei, hundertdreißig, einige

2.2 Wortbildung

Wie der Name "Wortbildung" bereits vermuten lässt, geht es hierbei um die Bildung von Wörtern. Diese beruht auf diversen Regeln und Mustern, die wir im Folgenden aufzeigen möchten.
Die Wortbildung ist neben der Entlehnung eine der am häufigsten genutzten Möglichkeit zur Wortschatzerweiterung im Deutschen. Darüber hinaus werden hierfür auch die Bedeutungsveränderung sowie die Urschöpfung (Kunstwortbildung) genutzt.

2.2.1 Grundbegriffe der Wortbildung

Bevor wir nun die einzelnen Möglichkeiten der Wortbildung beleuchten, gilt es, einige Grundbegriffe zu erklären. Dazu zählen:

2.2.1.1 Morphem

Wird das Wort im Rahmen der Wortbildung als größte Einheit verstanden, gilt das Morphem als kleinste Einheit der Sprache, die eine Bedeutung oder eine grammatische Funktion hat. Hierbei wird zwischen freien Morphemen (das sind selbständige Wörter, Beispiel: Bett) und gebundenen Morphemen (treten nur innerhalb von Wörtern auf, Beispiel: Bett-en (Wortstamm + Pluralendung)) unterschieden.

2.2.1.2 Phonem

Das Phonem ist der kleinste lautliche Bestandteil eines Wortes. Für sich genommen trägt es keine Bedeutung. Es hat aber eine bedeutungsunterscheidende Funktion, wenn man es in einem Wort ersetzt (Beispiel: Haus vs. Maus). Bei diesem Beispiel handelt es sich um ein sogenanntes "Minimalpaar", da sich die beiden Wörter nur in einem einzigen Phonem unterscheiden.

2.2.1.3 Lexem

Ein Lexem ist ein Morphem, dass eine lexikalische Bedeutung hat. Somit ist es ein selbstständiges Wort und steht als solches im Lexikon. Seine möglichen Flexionsformen werden dabei nicht berücksichtigt (Beispiel: Maus; Mausefalle und Fledermaus wären dann bspw. Wörter).

2.2.1.4 Affix

Ein Affix (abgeleitet vom Lateinischen "affigere" für: anheften) ist ein gebundenes Morphem. Es wird zur Erweiterung eines vorhandenen Wortes oder Wortteiles verwendet. Folgende Varianten gibt es:

2.2.1.4.1 Präfix

Das Präfix (Vorsilbe) ist eine Worterweiterung. Dazu zählen etwa aus-, be-, ent-, er-, ge-, ver- und zer-. Präfixe werden dem Wortstamm vorangestellt und sorgen somit für eine neue Bedeutung (Beispiel: um-gehen).

2.2.1.4.2 Suffix

Das Suffix (Nachsilbe) ist das Gegenstück zum Präfix. Hierzu zählen u.a. -heit, -ig, -keit, -nis, -schaft und -ung. Es steht am Ende eines Wortes, weil es seinem Wortstamm nachfolgt (Beispiel: Frei-heit).

2.2.1.4.3 Zirkumfix

Das Zirkumfix (abgeleitet vom Lateinischen "circumfigere" für: ringsum umwickeln) umgibt das Basismorphem (den Kern einer Morphemkombination) auf beiden Seiten (Beispiel: ge-läuf-ig).

2.2.1.4.4 Infix

Das Infix (abgeleitet vom Lateinischen "infīxum" für: fest eingebaut) wird nirgends angehangen sondern innerhalb eines komplexen Wortes eingebaut (Beispiel: fahr-untüchtig).
Das Infix kommt im Deutschen aber nur selten vor und ist Sprachwissenschaftlich umstritten. Denn das Beispiel ließe sich ebenso als Zusammensetzung aus zwei Einheiten analysieren, bei der die zweite präfigiert ist (Präfix vor dem Wortstamm - 1. Einheit: fahr, 2. Einheit: un-tüchtig).

2.2.1.5 Wortstamm

Der Wortstamm (kurz auch "Stamm" genannt) ist der unveränderliche Teil eines Wortes. Er dient als Basis für neue Wortbildungen, indem man Endungen, Silben und Zeitformen an ihn anhängt. Der Wortstamm selbst kann dabei entweder nicht zerlegbar (Primärstamm oder Wurzel) oder zusammengesetzt (Sekundärstamm) sein (Beispiel: Ballett, Erdball, ballern, Ballast; der gemeinsame Primärstamm ist ball).

2.2.1.6 Einheit

Im Rahmen der Wortbildung wird eine Einheit als Wort (größte Einheit), Wortstamm oder gebundenes Morphem (kleinste Einheit) verstanden.

2.2.1.7 Wortfamilie

Eine Wortfamilie ist eine Gruppe von Wörtern mit gleichem Primärstamm (Beispiel: Tierkreis, Raubtier, Säugetier; der gemeinsame Primärstamm ist tier).

2.2.2 Wortbildungsarten

Es gibt verschiedene Wortbildungsarten, die für die Entstehung neuer Wörter verantwortlich sind. Im Einzelnen sind dies:

2.2.2.1 Komposition

Komposition (abgeleitet vom Lateinischen "compositio" für: Zusammenstellung) wird auch als Wortzusammensetzung bezeichnet. Hierbei werden mindestens zwei Einheiten zu einem Kompositum verknüpft.

Beispiele:
Zimmer + Pflanze = Zimmerpflanze
Pfeffer + Kuchen + Haus = Pfefferkuchenhaus

Darüber hinaus unterscheidet man noch folgende Untertypen der Komposition:

2.2.2.2 Derivation

Derivation (abgeleitet vom Lateinischen "derivare" für: leiten, ableiten, wegleiten) wird auch als Ableitung bezeichnet. Folgende Verfahren werden unterschieden:

  • Explizite Derivation: Hierbei wird die Wortbildung durch Ableitung eines freien lexikalischen Morphems durch Verknüpfung mit Affixen vollzogen (Beispiel für Präfix: aus-suchen).
  • Implizite Derivation: Hierbei findet die Ableitung mit einem Ablaut statt (Beispiel: liegen > liegen).
  • Konversion: Der Begriff ist abgeleitet vom Lateinischen "conversio" für "Wandlung" und wird auch als Nullableitung oder Nullderivation bezeichnet. Hierbei werden durch Wortartwechsel Derivate gebildet (Beispiel: tanzen (Verb) > das Tanzen (Substantiv)).
2.2.2.3 Kürzung

Durch Kürzung bzw. Kurzwortbildung werden Langformen zu Kurzformen mit im Wesentlichen identischen Bedeutungen.

2.3 Flexion

Mit Flexion (abgeleitet vom Lateinischen "flexio" für: Biegung) meint man in der Morphologie die Beugung eines Wortes rsp. deren unterschiedliche Wortformen, die daraus resultieren. Die Wortformen selbst sind abhängig von der jeweiligen Wortart. Diese wiederum wird unterschieden nach flektierbar und nicht flektierbar. Zu den flektierbaren Wortarten gehören die Adjektive, Verben, Substantive, Pronomen, Artikel und Numeralien. Nicht flektierbare Wortarten (auch Partikel genannt) sind Adverbien, Interjektionen, Konjunktionen und Präpositionen.

Bei den drei Hauptwortarten unterscheiden sich...

Die Flexion von Adjektiven, Substantiven, Pronomen, Artikeln und Numeralien bezeichnet man als Deklination. Beim Vorgang selbst spricht man vom "Deklinieren". Die Flexion von Verben hingegen heißt Konjugation. Der Vorgang "konjugieren".

Über den Autor
Silvan Maaß ist Diplom-Kommunikationswirt (dab) sowie Mitbegründer der Sprachnudel, wodurch er sich seit über 17 Jahren beinahe täglich mit angewandter Linguistik und Wortschatzentwicklung beschäftigt. Die Lebendigkeit der Sprache hat es ihm besonders angetan. Daher interessiert er sich insbesondere für Themenfelder der Linguistikforschung wie bspw. Okkasionalismen und Neologismen.